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Disneyland 30 Jahre

Am 12.4.2022, feiert Disneyland Paris den 30. Geburtstag.
30 Jahre Disneyland Paris – das kulturelle Tschernobyl Frankreichs
Eine Rekapitulation von Stephan Heinrich Nolte


 

Wir heißen alle Besucher dieses Ortes des Glücks willkommen!

"Disneyland ist Euer Land. Hier kann das Alter in schönen Erinnerungen an die Vergangenheit schwelgen, und hier kann die Jugend die Herausforderungen und die Versprechen der Zukunft erleben. Disneyland ist den Idealen, Träumen und den harten Fakten gewidmet, die Amerika geschaffen haben, in der Hoffnung, dass es eine Quelle der Freude und Inspiration für die ganze Welt sein wird."

Walter E. Disney, 17. Juli 1955, bei der Eröffnung des Disneylandes in Anaheim, Kalifornien.

 

Disneyland will nach Europa

Nach dem großen Erfolg des 1955 eröffneten Disneylands in Kalifornien suchte die Walt Disney Company neue Standorte. 1971 wurde das Walt Disney World Resort in Florida und 1983 das Tokyo Disney Resort in Japan eröffnet. Schon 1976 hatte Walt Disney Productions in Frankreich Verhandlungen mit der DATAR (Délégation interministérielle à l'aménagement du territoire et à l'attractivité régionale) aufgenommen. Im Januar 1984 reiste eine Delegation unter Edith Cresson als Ministerin für Außenhandel und Tourismus in die USA, wo sich ihr Kabinettschef Patrick Subremon mit Ray Watson, dem Präsidenten von Walt Disney Productions, und Frank Stanek, dem Promoter von Tokyo Disneyland traf, um allgemein über Disneys Projekte in Europa zu sprechen. Edith Cresson informierte den französischen Staatspräsidenten François Mitterrand, aber ansonsten blieb das Projekt geheim, selbst der Innenminister Gaston Defferre wurde erst durch die zahlreichen Flüge von Disneys Hubschraubern über potenzielle Standorte aufmerksam, er stellte sich dann den künftigen Park vor den Toren Marseilles vor.

 

Geheime Vorarbeiten

Ende 1984 wurde es ernst mit "Euro Disneyland", fast 1.200 mögliche Standorte in Europa wurden in Erwägung gezogen. Anfang 1985 erfuhren französischen Zeitungen von dem Projekt, als Carl G. Bongino, der Vizepräsident von Walt Disney Productions, vom Premierminister empfangen wurde und über drei potenzielle Standorte, in der Ardèche, im Var und im Osten von Paris beriet. Französischer Favorit wurde letzterer, in einem Bündnis zwischen dem Staat und der Hochfinanz, der Region Île-de-France und Marne-la-Vallée.

 

Sombrero oder Baskenmütze

1985 blieben für Eurodisney lediglich zwei spanische und zwei französische Standorte übrig. In Frankreich stritt man um Finanzierung der Bahnanbindung, Spanien wollte Frankreich den Park streitig machen: Mickey würde den Sombrero der Baskenmütze vorziehen. Die in Aussicht gestellten Subventionen wurden vervielfacht und die Spanier waren sich des Sieges sicher. Beharrlich gelang es dem französischen Verhandlungsführer, Jean Peyrelevade, dem damaligen Vorsitzenden der Suez Financial Company, am Ball zu bleiben. Jetzt wurde es Ernst, mit raschen Zugeständnissen, etwa der Verlängerung der Zuganbindung durch den regionalen Expresszug (RER), staatliche Zinszuschüsse und Steuererleichterungen. In diesen geheimen Verhandlungen gelang schließlich doch an die Presse, dass Frankreich bereit war, eine Fläche von 16 km2 (1.600 ha) zur Verfügung zu stellen, nicht ganz, was den Gewünschten 24 km2 entsprach. Die klimatisch günstigeren Standorte an Meeresnähre in Spanien wurden aufgegeben, aber von anderen Investoren im Jahr 2000, als Park „Terra Mítica“ eröffnet.

 

Spaniens Konkurrenz verteuert die Staatsausgaben

Weil aber Disneys Präsident Michael Eisner immer noch direkt mit den Spaniern verhandelte, gingen die Franzosen in Person des Präsidenten des Conseil général, Paul Séramy, auf eine millionenschwere Aufstockung des Einsatzes ein, sodass am 18. Dezember 1985 eine Absichtserklärung mit der französischen Regierung und der Region Île-de-France über die Errichtung eines Disneyland-Parks in Marne-la-Vallée abgegeben werden konnte. Durch das Ausspielen der Standorte wurden exorbitant hohe Zuschüsse ausgehandelt.

 

Zwangsenteignungen

In einer bis heute bestehenden öffentlich-privaten Partnerschaft wurde der Ballungsraum Val d'Europe erschlossen, der dem Disney-Konzern erhebliche Vorteile beim Erwerb der Bodenflächen beschaffte: 2.230 ha wurden vom Staat erworben und für Disney reserviert. Dafüri wurden unter anderem 60 Großbauern enteignet, die größte Enteignungsaktion seit der französischen Revolution: 1.945 Hektar. Die Bauern, die sich zu einer Interessengemeinschaft zusammengeschlossen haben, durften wählen: entweder Zwangsenteignung zu neun Franc pro Quadratmeter oder „gütliche Einigung“ zu elf Franc. Die volle Entschädigung gab es nur, wenn der Landwirt innerhalb von sechs Monaten neue Ackerflächen erwirbt. „Aber so guten Boden gibt es nicht oft in Frankreich“, sagte Gilles Vanderkerchow, dessen Acker zu einem Autobahnzubringer befördert wurde1. Die Grundstücke wurden vom öffentlichen Träger „EpaMarne“ erschlossen und dann an Disney verkauft. Im März 1987 unterzeichnete der französische Staat einen 30-jährigen Vertrag für die Entwicklung des Euro Disney Resorts und damit konnten die Bauarbeiten beginnen. So entstand der neue Disney-Park in Marne-la-Vallée den Gemeinden Bailly-Romainvilliers, Chessy, Coupvray, Magny-le-Hongre und Serris.

 

Arbeitsplätze

Nach dem endgültigen Entwurf sollte der Park im Jahr 2000 eine Fläche von 1800 Hektar umfassen, wovon ein kleiner Teil für den eigentlichen Vergnügungspark vorgesehen war, während der Rest Büros, ein Theater, kulturelle, kommerzielle und sportliche Zentren beherbergen sollte. Die ursprüngliche Investitionssumme betrug 15 Milliarden Francs (2,3 Milliarden Euro) plus 5 Milliarden Francs für die Infrastruktur (Straßen, S-Bahn, usw.). Eine zweite Tranche wurde bereits zu diesem Zeitpunkt ins Auge gefasst. Auf der Baustelle sollen fast 10 000 Menschen beschäftigt werden, und bei der Eröffnung des Parks sollen 23 000 Menschen dauerhaft und weitere 5 000 vorübergehend im Park arbeiten. Die Neben- und Randaktivitäten dürften nach den optimistischsten Prognosen der Experten zur Schaffung von fast 100 000 Arbeitsplätzen führen und damit den Park zu einem wichtigen Bestandteil der europäischen Wirtschaft werden lassen.

 

Staatliches Wohlwollen

Der französische Staat zeigte sich während der gesamten Entstehungsphase offen gegenüber dem Vorhaben, Robert Fitzpatrick traf sich Ende der 1980er Jahre mehrmals mit Mitgliedern des Kabinetts von Präsident Mitterrand. Jacques Attali schlug ihm vor, den Park zu „europäisieren“, indem die europäische Herkunft der meisten Disney-Figuren betont und damit das europäische Publikum angezogen wird. Der Komplex wurde am 12. April 1992 eröffnet. Er umfasst neben dem ersten Vergnügungspark mehrere Hotels und Festival Disney - 1996 in Disney Village umbenannt - letzteres ist ein 4,6 Hektar großer Einzelhandels-, Gastronomie- und Unterhaltungskomplex zwischen den Parks und den Hotels. Einige Einrichtungen in Disney Village werden von Dritten betrieben, die eine Miete an Disneyland Paris zahlen.

 

Schwieriger Start

Der Park hatte einen schwierigen Start, mit Besucherzahlen, die nicht den Erwartungen der Walt Disney Company entsprachen. Im Laufe der Jahre ließen die hohen Schulden, die der Konzern angehäuft hatte, trotz einer langsamen Erholung der Besucherzahlen sogar um den Fortbestand des Parks fürchten. Denn das Finanzkonstrukt, das dem Komplex zugrunde lag, erwies sich als äußerst fragil. Ab Juni 1993 bremste Euro Disney seine Pläne und kündigte die Aussetzung der geplanten Entwicklungen an. Ein Jahr später wurde auf einer außerordentlichen Hauptversammlung der Aktionäre eine finanzielle Umstrukturierung beschlossen. Um der Überschuldung von fast 3 Milliarden Euro Herr zu werden, erklärte die Muttergesellschaft, bis 1998 auf Lizenzgebühren zu verzichten. Die Banken stimmten einem Zinsverzicht zu, die Schulden wurden umgeschuldet. Das Kapital wird um 882 Millionen Euro erhöht und ein saudi-arabischer Investor steigt mit 10% ein. Der französische Präsident François Mitterrand und der amerikanische Präsident George H. W. Bush samt seiner Enkelkinder besuchten 1994 Euro Disney.

 

Umbenennung

Euro Disney wurde am 1. Oktober 1994 in Disneyland Paris umbenannt. 1999 wurde der Bau eines zweiten Parks begonnen, 2007 das Projekt Villages Nature angekündigt, welches 7.000 touristisch genutzte Wohnungen in vier thematischen Dörfern umfassen soll. 2010 unterzeichneten Euro Disney SCA und der französische Staat einen Zusatzvertrag, der die 2017 auslaufende Vereinbarung bis 2030 verlängerte und den Komplex um fast 300 ha vergrößerte. 10.000 Dauerwohnungen sollen im Rahmen der Stadtentwicklung von Val d'Europe entstehen, ebenso ein dritter Themenparks.

 

Erweiterungen, neue Themenparks

Anfang 2018 sagte Robert Iger bei einem Besuch im Élysée-Palast dem Präsidenten Emmanuel Macron eine Investition von 2 Milliarden Euro für weitere Themenparks zu. Am 7. Februar 2020 wurde ein neuer Zusatzvertrag in die Vereinbarung von 1987 über die Errichtung und den Betrieb von Euro Disneyland aufgenommen. Damit sollte die Frist bis 2036 verlängert werden, innerhalb der die Betreiber die Entscheidung über die Errichtung eines dritten Themenparks treffen können. Bisher hatte die Gesellschaft eine Frist bis 2026, um über einen möglichen dritten Park zu entscheiden. Ansonsten hätten die betroffenen Grundstücke weiterverkauft werden können. Die Walt Disney Company hatte 2020 einschließlich der Gemeinde Val d'Europe und des Ökotourismusziels Villages Nature etwa die Hälfte der 2.230 ha belegt. Die Gemeinde Val d'Europe mit etwa 35.000 Einwohnern hat einen Regionalbahnhof, Hotels und ein Stadtzentrum mit einem Einkaufszentrum sowie Büro-, Gewerbe- und Wohnflächen. Dritte betreiben diese Entwicklungen auf Grundstücken, die von Disneyland Paris gemietet oder gekauft wurden.6 Das Disneyland Paris ist eine der größten Städte in Europa.

 

Ein kulturelles Desaster

Ariane Mnouchkine bezeichnete Euro Disney als "kulturelles Tschernobyl", harsche Kritik wurden von verschiedenen Essayisten und Philosophen wie Umberto Eco, Jean Baudrillard oder Denis Lacorne geäußert. Marc Augé schrieb, dass Disneyland die Welt von heute, in ihrem Schlimmsten und Besten: die Erfahrung der Leere und der Freiheit sei.

 

Ein zwiespältiges Symbol

Die Ankündigung der Einrichtung des Parks und seine Eröffnung 1992 hatte in dem krisengeschüttelten und von Arbeitslosigkeit betroffenen Frankreich viele Hoffnungen geweckt. Nach und nach wurde Euro Disney jedoch in der öffentlichen Meinung zum Symbol für ein Management nach amerikanischem Vorbild und wurde oft mit erschwerten Arbeitsbedingungen, Unsicherheit, niedrigen Löhnen und fehlender Mitbestimmung gleichgesetzt. Im Jahr 1998 erlebte der Park einen seiner ersten größeren Streiks. Die Kosten für die Öffentlichkeit beliefen sich bei der Eröffnung auf eine Milliarde Francs für die Übernahme der von Disney als notwendig erachteten peripheren Infrastruktur; eine Milliarde Francs für den Bahnhof der RER A und eine Milliarde Francs indirekte Subvention in Form eines Zinsvorteiles bei den gewährten Darlehen. Diese Ansiedlungssubventionen sollen sich jedoch innerhalb weniger Jahre durch die Mehrwertsteuereinnahmen, die der Vergnügungspark insbesondere durch ausländische Besucher generierte, amortisiert haben.

 

Ein eigenes öffentliches Recht

Dem Park wurde ein besonderer Rechtsstatus eingeräumt: Ein Abkommen zwischen Frankreich und Disney sieht vor, dass im Falle von Streitigkeiten zwischen den Parteien die örtlichen Verwaltungsgerichte nicht zuständig sind. Die Amerikaner waren der Ansicht, dass der Staatsrat als staatliche Struktur nicht unabhängig sein könne und somit gleichzeitig Richter und Partei sein würde. Daher wurde vereinbart, dass in diesem Fall ein internationales Schiedsverfahren eingeleitet werden sollte. Diese Schiedsklausel musste gesetzlich genehmigt werden.

 

Disneyland heute

Heute umfasst die Anlage die zwei Themenparks Disneyland Park (1992) und Walt Disney Studios Park (2002), den Unterhaltungsbereich Disney Village, die Golfanlage Golf Disneyland, mehrere Hotels sowie Wohn- und Geschäftsviertel. Disneyland ist mit über 15.000 Beschäftigten der größte Arbeitgeber Frankreichs an einem Standort, noch vor Airbus in Toulouse. 56.000 direkte und indirekte Arbeitsplätze hängen an dem Unternehmen. Die Wertschöpfung seit 1992 wurde auf 68 Milliarden Euro geschätzt, wie das Disneyland Paris zum 25-jährigen Bestehen 2017 mitteilte. Damals wurden 320 Millionen Besucher, über die Hälfte aus dem Ausland, registriert, mehr als der Eiffelturm und Versailles zusammen.2 Durch die Covid-19-Pandemie und die in Frankreich 2020 und 2021 beschlossenen Maßnahmen kam es zu mehreren längerfristigen Schließungen, die erste vom 14. März 2020 bis zum 14. Juli 2020, erneut vom 29. Oktober 2020 bis zum 17. Juni 2021. Daher sind die gegenwärtigen Zahlen nicht repräsentativ.

 

Mit dem Bahnhof Marne-la-Vallée - Chessy verfügt das Resort über eine eigene Haltestelle für die TGVs und den Eurostar nach London. Über die RER-Linie A sind die Pariser Stationen Charles-de-Gaulle - Étoile, Auber, Châtelet - Les Halles, Gare de Lyon oder Nation in einer halben Stunde zu erreichen. Vom Flughafen Paris-Charles de Gaulle fährt der TGV zehn Minuten, zu beiden Pariser Flughäfen (Orly und Charles de Gaulle) verkehren auch VEA-Busse (Val d’Europe Airport). Zwei Abfahrten verbinden das Gelände direkt mit der Autobahn A4 Paris-Metz-Saarbrücken. Außerdem verkehren Pendelbusse alle 10 bis 20 Minuten zwischen dem RER-Bahnhof, den Themenparks, den Disney-Hotels und den angeschlossenen Hotels. Derzeit werden mit großem Aufwand die Feiern zum 30 Geburtstag vorbereitet und viele neue Attraktionen angekündigt.

Unsere Zukunft: der Kollektive Freizeitpark

Die viel kritisierte Bemerkung Helmut Kohls bei seiner Regierungserklärung am 21. Oktober 1993 lautete: „Wir können die Zukunft nicht dadurch sichern, dass wir unser Land als kollektiven Freizeitpark organisieren." Anscheinend kann man es über weite Teile doch. Das Modell scheint zu funktionieren. Wie verdummt ist die Menschheit?


 

Quellen: https://de.wikipedia.org/wiki/Disneyland_Paris; https://fr.wikipedia.org/wiki/Disneyland_Paris und andere öffentlich zugängliche Informationen sowie eigene An- und Einsichten.

2 Nach einer Studie der Société d'études techniques et économiques (Setec).